Dekanat Rodgau

Angebote und Themen

Herzlich Willkommen! Entdecken Sie, welche Angebote des Dekanates Rodgau zu Ihnen passen. Über das Kontaktformular sind wir offen für Ihre Anregungen.

    AngeboteÜbersicht
    Menümobile menu

    Fluchthelfer*innen

    von Pfarrer Martin Franke, Evangelische Kirchengemeinde Seligenstadt und Mainhausen, Ökumene-Beauftragter des Evangelischen Dekanats Rodgau

    Jesus spricht: 
    Seht, ich sende Euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid also klug wie die Schlangen und ohne Falschheit wie die Tauben."

    (Matthäus 10, 16)

    „Es ging darum, Menschen zu retten, die vom Tod bedroht waren. Wie hätte ich mich unter diesen Umständen um bürokratische Erwägungen und Berechnungen kümmern können?, schreibt Paul Ernst Grüninger in seinem Lebenslauf.

    Der Schweizer Polizei-Hauptmann wurde von seinem Dienst suspendiert, nachdem er 1938 und 1939 mehrere hundert Personen durch Vordatieren der Visa und andere Fälschungen in die Schweiz hatte einreisen lassen. Seit dem am 5. Oktober 1938 eingeführten „J“ im Pass gestatteten die Schweizer Behörden deutschen und österreichischen Jüdinnen und Juden nur noch mit vorheriger Sondergenehmigung den Zutritt auf das Staatsgebiet.

    Grüninger war ein „Schleuser“ – nachdem er seine Pensionsansprüche verloren hatte, fand er nie wieder eine Arbeit. Er starb verarmt 1972 in seiner Heimatstadt Sankt Gallen. 1995 wurde er rehabilitiert, in der israelischen Gedenkstätte „Yad Vashem“ gilt er als „Gerechter unter den Völkern“.

    Heute spricht selbst ein Pfarrer im Interview von „kriminellen Schlepperbanden“ über das Mittelmeer – und vergisst dabei, dass auch die meisten Fluchthelferinnen und -helfer über die damalige innerdeutsche Grenze durchaus Geld bekommen haben für Organisation und Risiko. Auch werden selten Alternativen aufgezeigt, wie denn Flüchtlinge aus Afrika noch legal nach Europa einreisen sollen. Sie sind angewiesen auf Fluchthelfer*innen.

    Selbst wenn Medien bei Fluchthelfer*innen heute gern von „organisierter Kriminalität“ sprechen, gibt es wenig Belege dafür, dass hinter diesen große Banden stehen würden. Eine der wenigen Studien (Universität Bamberg 2004) kommt zu dem Schluss, dass „die verbreitete These, dass große, pyramidenförmig-hierarchisch strukturierte mafiöse Organisationen das Geschäft dominieren“, nicht zutreffe.

    Meist seien es lose Netzwerke, auf deren Dienstleistungen Flüchtlinge bei Bedarf zurückgreifen würden. Die Migrantinnen und Migranten suchen selbst nach Lösungen, Grenzen im Zweifel auch ohne staatliche Genehmigung zu passieren: So groß sind Elend und Not in ihren Heimatländern, der Druck, z.B. dem Militärdienst in der Diktatur Eritreas zu entkommen oder dem Terror von bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf dem Balkan.

    Es mag wie überall schwarze Schafe geben, aber zunächst helfen Fluchthelfer*innen anderen Menschen, staatliche Grenzen zu passieren, um sich vor repressiven Regimen, Kriegen, Armut, gesellschaftlichen Diskriminierungen oder anderen Menschenrechtsverletzungen zu schützen.

    Sie bringen ihre Kundinnen und Kunden dabei wissentlich in gefährliche und manchmal lebensbedrohliche Situationen. Flucht ist immer ein sehr hohes Risiko, aber genau deshalb auch nicht übermäßig attraktiv.

    Sind Fluchthelfer*innen in dieser Welt der Kriege und Verfolgungen nicht etwas von dem, was Jesus uns aufträgt, nämlich „klug wie die Schlangen“? Bei Matthäus spricht Jesus davon, dass diese Menschen, die sich für andere einsetzen, verfolgt werden: „Seid wachsam im Umgang mit Menschen. Einige werden euch vor Gerichte bringen und in Volksversammlungen peitschen lassen. Meinetwegen werdet ihr Statthaltern und Königen vorgeführt werden, um vor ihnen und vor den Völkern Zeugnis von Gott abzulegen.“ (Matthäus 10, 17+18)

    Niemand kann Fahrten auf durchgerosteten Schiffen über das Mittelmeer befürworten. Doch seitdem ich mehr Fluchtgeschichten kenne, kann ich die polemische Bezeichnung „Schlepper“ nicht mehr hören. Flüchtlinge aus Eritrea und anderen Staaten  beschreiben sehr genau, dass sie ohne Fluchthelfer nie bis zu uns gekommen wären. Beide, Flüchtlinge wie Fluchthelfer*innen, haben Mut und Klugheit bewiesen.

    „Klug wie die Schlangen und ohne Falschheit wie die Tauben“ zu werden, das könnte auch heißen, nicht vorschnell Sündenböcke für Flucht und Katastrophen in dieser Welt zu suchen.

    Diese Seite:Download PDFDrucken

    to top