Dekanat Rodgau

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    Schämen Sie sich?

    Pfarrer Sven Sabary.

    von Pfarrer Sven Sabary,
    Evangelische Kirchengemeinde Heusenstamm

    „Sie sollten sich schämen!“ Eine ältere Dame, bepackt mit Einkaufstüten, quält sich die steilen Stufen zur Straßenbahn hoch. Sie peilt den freien Platz neben der Tür an. Kurz bevor sie ihn erreicht hat, fläzt sich jemand, Kopfhörer im Ohr und unverschämt grinsend, auf den Sitz.

    »Ich schäme mich des Evangeliums nicht: Es ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt.« (Römerbrief, Kapitel 1, Vers 16)

    Das schreibt der Apostel an die Gemeinde in Rom; und dieser Brief fand Eingang in die Bibel. Also sind auch wir die Adressaten. So frage ich mich zweierlei:
    Warum sollte Paulus sich überhaupt schämen, sich als Christ zu outen?
    Und: Schäme ich mich manchmal davor, meinen evangelischen Glauben zu bekennen?

    Zunächst zu Paulus: Sich als Christ zu outen, das war im römischen Reich des 1. Jahrhunderts riskant. Christen waren innerhalb der Minderheit der Juden wiederum eine Minderheit. Und Minderheiten leben oft gefährlich. Schnell können sie zu Sündenböcken werden, gerade dann, wenn von eigenem Fehlverhalten abgelenkt werden soll. Das ist heute nicht anders. In einem Bundesland, in dem kaum ein Prozent Muslime leben, wird zum Beispiel vor einer angeblichen Islamisierung des Abendlandes gewarnt. Sündenböcke, Verfolgte und Unterdrückte sehnen sich nach Rettung.

    Paulus, der – als er noch Saulus hieß – selbst früher Christen verfolgte, findet die rettende Kraft: Es ist Gott selbst, der in Jesus Mensch wurde und durch den nun auch Nichtjuden Gottes Liebe erfahren und zu Gottes Kinder werden können. Diese Kraft können alle spüren, wenn sie sich ihr öffnen, sie im eigenen Leben zulassen, wenn sie Gott vertrauen. Das kann als Rettung empfunden werden. Als Rettung aus Ängsten, Orientierungslosigkeit oder Einsamkeit.

    Etwas, was uns die Schamesröte ins Gesicht treiben könnte, das versuchen wir zu vermeiden oder zu verbergen. Adam und Eva, so wird im 1. Buch Mose berichtet, schämten sich ihrer Nacktheit. Sie versteckten sich hinter einem Gebüsch. Sich zu öffnen, seine persönliche Überzeugung zu offenbaren, das kann sich anfühlen, als würden wir uns nackt ausziehen. Das kann angreifbar machen, gefährlich sein und zu Kritik führen. Beim Smalltalk, das empfehlen manche Ratgeber, sollte man daher besser nicht über Gesundheit, Politik oder gar den eigenen Glauben sprechen.

    Paulus hält sich aber nicht daran: Er spricht nicht nur, er schreibt sogar davon. Und das nicht etwa nur im engsten Kreis, sondern er schreibt ihm unbekannten Menschen in einer Stadt, in der er noch nie war. Paulus schämt sich wahrlich nicht. Er bekennt Jesus als seinen Christus, seinen Retter und seine Lebenskraft. Das machte vielen Mut, nicht nur in Rom.

    Kann das auch uns Mut machen? Oder schämen wir uns davor, unseren evangelischen Glauben zu bekennen? Ehrlich gesagt: Ich manchmal ja. Einem evangelischer Pfarrer wird ja durchaus zugestanden, quasi aus beruflichen Gründen, immer von Gott, Glaube und Gemeinde zu sprechen. Aber selbst ihm fällt es mitunter schwer, eindeutig Stellung zu beziehen, für Gott, für Nächstenliebe und Solidarität mit den Ärmsten, für die Bewahrung der Schöpfung und das aktive Eintreten für Gerechtigkeit und Frieden. Beispielsweise in einer Situation, in der er befürchtet, er könnte dadurch verstören, gekeimtes Vetrauen gefährden oder sein Gegenüber überfordern. Aber wie oft ist das nicht nur eine Art vorauseilendem Gehorsam?

    Warum könnte ich mich des Evangeliums Jesu Christi schämen? Drei Möglichkeiten:

    Weil ich selbst meine, eigentlich gar nicht „richtig“ zu glauben? z. B. weil ich mich nur in manchen Augenblicken in Gottes Liebe geborgen spüre.

    Weil ich Angst vor Nachfragen habe, auf die ich selbst keine Antwort habe? z. B. auf die Frage, warum Gott das Leid in der Welt zulässt.

    Weil ich nicht zu einer Minderheit gehören möchte? z. B. beim Smalltalk im Kollegen- oder Bekanntenkreis.

    Ich denke, keiner braucht sich des Evangeliums Jesu Christi zu schämen. Drei Gedanken:

    Luther hat uns mitgegeben, dass wir über den Glauben eines anderen weder urteilen können noch dürfen. Das steht allein Gott zu. Somit gibt es keinen „richtigen“ oder „falschen“ Glauben an Jesus Christus. Zum Glauben gehört Zweifeln. Wir leben als Sünder und Gerechte in dunklen und hellen Zeiten. Ohne Unglückserfahrungen wüssten wir nicht, was Glück ist. Aber es gibt unangemessene, ja konträre Formen, evangelischen Glauben zu leben. Wer vor der Semperoper christliche Lieder singt, ein Kreuz in schwarz-rot-gold hochstreckt und gleichzeitig Flüchtlingen Hilfe verweigert, der hat das Gleichnis vom barmherzigen Samariter entweder nie gehört oder es nicht verinnerlicht.

    Ich brauche mich auch nicht zu schämen, weil mir mitunter die Worte fehlen, um meinen Glauben zu beschreiben. Traditionelle Formulierungen bleiben auch für mich manchmal phrasenhaft. Ich suche auch immer wieder die vermeintlich richtigen Worte. Aber Situationen, egal ob voller Glück oder in großem Leid, in denen ich mich von Gott gehalten gefühlt habe, kann ich mühelos in meine eigenen Worte fassen. Und Worte allein sind auch nicht alles: An ihren Taten bzw. ihren Früchten oder Werken sollen Christen erkennbar sein (vgl. Mt 7,16; Jak 2,17).

    Ich brauche auch keine Scham dafür zu empfinden, eine eigene Überzeugung zu vertreten, auch wenn diese gegebenenfalls nicht die Mehrheitsmeinung ist. Es gehört zur Entwicklung einer individuellen Persönlichkeit, eigene Standpunkte zu finden und zu vertreten. Gerade als Mensch mit Herz und Narben, Ecken und Kanten bin ich unverwechselbar. Gott hat mich einzigartig geschaffen, nicht als graue Maus einer Masse. Abgesehen davon, dass in Deutschland rund 50 von 80 Millionen Menschen Christen sind, tut es nicht gut, auf Dauer eigene Überzeugungen zu verdrängen oder zu verleugnen.

    Aber sollten wir uns vielleicht doch hin und wieder schämen?
    Vielleicht für unsere Bequemlichkeit oder unseren Egoismus, bisweilen für unsere Schamlosigkeit oder dafür, dass wir nichts sagen, wenn jemand in der Straßenbahn einer bedürftigen Person den Sitzplatz wegnimmt. Aber keinesfalls für das Evangelium Jesu Christi.

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