Dekanat Rodgau

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    That's how the light gets in

    von Kai Fuchs, Fachstelle Öffentlichkeitsarbeit im Evangelischen Dekanat Rodgau

    »Was hat ein Mensch denn davon, wenn ihm die ganze Welt zufällt, er selbst dabei aber seine Seele verliert?«

    Evangelium nach Matthäus, Kapitel 16, Vers 26

    Neulich, Sonntagnachmittag, unterwegs auf fremden Straßen: An einem Brückenpfeiler prangt, in weißen, geschwungenen Lettern auf Betongrau, der Satz: „Ich hab zwar schlechte Zähne, aber dafür ist mein Lächeln echt.“

    Es ist nicht leicht zu genügen. Wahrscheinlich war es noch nie leicht, den Anforderungen, die die Welt, die das Leben an uns stellt, auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Nur haben sich, verstärkt durch die sozialen Medien, die Referenzwerte deutlich nach oben verschoben: das permanente strahlend-weiße Lächeln, die neueste Kollektion, die kerzengerade Karriere mit Top-Gehalt, das trendige Reiseziel, die reibungslos funktionierende Partner- und die perfekte Elternschaft, die aufsehenerregendsten Instagram-Fotos und die meisten Fans und Follower. Überhaupt: die bestmögliche Performance, um die Welt mit ihren Verheißungen zu gewinnen, zu erobern.

    Doch allzu oft scheint die Rechnung - und darauf läuft es hinaus, wenn wir ehrlich sind - nicht aufzugehen: alles lässt sich eben auch nach dem Bleaching nicht weglächeln bis zum Muskelkrampf, der modische „dernier cri“ landet im nächsten Frühjahr bestenfalls im Secondhandladen, die Erwerbsbiografie knickt, der Urlaub war viel zu teuer und der jüngste #bestshot auch erst nach diversen Filtern wirklich schön.

    Beim Versuch, den Durst nach dem perfekten Leben, nach Anerkennung, nach Eroberung der Welt zu stillen, entsteht neues Verlangen - und das dumpfe Gefühl, dass es am Ende doch nicht reichen wird. Sisyphos und Tantalos, endlich vereint.

    Das gibt es nicht nur im Streben nach der Welt der vermeintlich Reichen und Schönen. Auch vor Gott haben allzu viele das Gefühl, nicht genügen zu können, nicht richtig, nicht gut genug zu sein für das Himmelreich.

    In ihrem neuesten Buch „Shameless - A Sexual Reformation“ setzt sich Nadia Bolz-Weber, Pfarrerin der lutherischen Kirche der USA, Autorin und Mitgründerin der Kirchengemeinde „House for all Sinners an Saints“ in Denver, unter anderem damit auseinander: Gott, so schreibt sie frei nach Luthers Rechtfertigungslehre, ist nicht interessiert an unserem „ideal self“, dem Idealbild, das wir mühevoll von uns aufbauen. „Das Selbst, das Gott liebt und zu dem er in Beziehung steht, ist dein tatsächliches Selbst“ mit all deinen Macken und Wunden, mit deiner Scham und deinem Schmerz.

    Der Idee, sich Reinheit („purity“) In Kirche und Welt erwerben zu können, stellt sie „holiness“, also Heiligkeit, entgegen: „Reinheit führt allzu oft entweder zu Stolz oder zur Verzweiflung, nicht zu Heiligkeit. Bei Heiligkeit geht es um „Einheit mit“, bei Reinheit um „Abgrenzung von“.

    “Holiness is the union we experience with one another and with God. Holiness is when more than one become one, when what is fractured is made whole. Singing in harmony. Breastfeeding a baby. Collective bargaining. Dancing. Admitting our pain to someone, and hearing them say, "Me too." Holiness happens when we are integrated as physical, spiritual, sexual, emotional, and political beings. Holiness is the song that has always been sung, perhaps even the sound that was first spoken when God said, "Let there be light.”

    In etwa übersetzt: Heiligkeit ist die Einheit, die wir miteinander und mit Gott erfahren. Heiligkeit ist, wenn mehrere eins werden, wenn das Gebrochene, Vereinzelte wieder ganz wird: harmonisch zusammen singen, ein Baby stillen, Tarifverhandlungen, Tanzen, jemandem unseren Schmerz gestehen und „Ja, ich auch“ hören. Heiligkeit gibt es dann, wenn wir mit unserem körperlichen, geistigen, sexuellen, emotionalen und politischen Dasein eingebunden sind in ein Ganzes. Heiligkeit ist das Lied, das schon immer gesungen wird, vielleicht sogar der Klang von Gottes Stimme, als er sagte: ‚Es werde Licht!‘

    Ich glaube, dass mit jedem Versuch, die Brüche und Risse, die Scherben, die Scham und die Selbstzweifel in unserem Leben hinter einer polierten Fassade zu verstecken (heiße sie „schön“, „beliebt“, „erfolgreich“ oder „fromm“), unsere Seele Schaden nimmt. Ich glaube, dass mit jeder Selbstverleugnung  die Kluft zwischen unserem Hochglanz-Selbst und dem tatsächlichen immer größer wird. Diese Kluft nennen Christinnen und Christen „Sünde“ und bezeichnen sie damit als das, was uns tatsächlich von Gott trennt.

    Gott wartet nicht darauf, dass wir endlich dünner werden, endlich „ladylike“ oder „ein echter Kerl“, endlich frömmer oder züchtiger, bescheidener, weniger verrückt oder zielstrebiger. Gott wartet dort auf uns, wo wir Fehler machen, wo wir am Tiefpunkt sind, wo wir mit uns selbst hadern, wo unsere Risse deutlich zu Tage treten und wo wir schließlich - endlich - lernen, uns im Licht Gottes anzuschauen und ein bisschen gnädig mit uns zu sein.

    Oder - wie es Leonard Cohen sang:

    „Ring the bells that still can ring,
    forget your perfect offering.
    There’s a crack in everything,
    that’s how the light gets in.“

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